Kriegsenkel

Kriegsenkel

Viele Menschen haben keine Ahnung, was sie sich denn unter einer systemischen oder Familien-Aufstellung vorstellen sollen oder was dabei passiert. Manche haben schon diesbezüglich Erfahrungen gesammelt, können sich jedoch nicht vorstellen, warum ausgerechnet Pferde dabei hilfreich sein sollten.

 

Nirupa und ich waren unterwegs zu ihren Pferden – zwei schwarzen Stuten – und wollten uns für unser gemeinsames Seminar zum Thema „Kriegsenkel“ vorbereiten. Wir hatten das Bedürfnis, uns selbst auch mit diesem Thema auseinanderzusetzen, zu erfahren, was denn der letzte Krieg auch nach den vielen friedvollen Jahrzehnten noch mit uns macht. Die Erfahrungen unser Vorfahren schwingen noch nach und beeinflussen unsere Lebenshaltung, unseren Blick aufs Leben und wie wir damit umgehen. Im kollektiven Familien-Unterbewusstsein sind diese traumatischen Erfahrungen abgespeichert und hindern uns daran, uns frei zu entfalten.

 


Pferde verfügen über einen großen Resonanzkörper. Dadurch spiegeln sie unsere Gefühle und Emotionen auf unvergleichliche Art und Weise, sie machen das sichtbar, was uns noch nicht bewusst ist. Eine weitere bemerkenswerte Fähigkeit ist, dass sie diese unsere Gefühle und Emotionen nicht bewerten. Sie drücken ihnen nicht den Stempel Gut oder Schlecht/Böse auf. Für Pferde sind Gefühle einfach nur Informationen. Obwohl sie so deutlich im Hier und Jetzt leben, haben Pferde jederzeit Zugang zu ihrem und zum kollektiven Unterbewusstsein. In diesem Unterbewusstsein haben sie auch die kollektiven Erfahrungen der Pferdeahnen mit Krieg abgespeichert. Auf dieser Ebene des Unterbewusstseins können wir mit den Pferden kommunizieren, hier ‚sprechen‘ sie mit uns in Form von Bildern, Gefühlen, Gedanken oder Gewissheiten.

 

Wir hatten uns vorgenommen, die Weisheit der beiden Pferde Windschwester und ihrer Tochter Safira zu folgender Frage zu erbitten:

 

„Warum ist der Krieg noch nicht zu Ende? Was macht der (schon lange vergangene) Krieg noch heute mit mir?“

 

Ich suchte ‚meinen‘ Platz auf der riesigen Weide und fühlte mich dort in meinen Körper ein. Meine Beine fühlten sich plötzlich ganz schwach an. Ich hatte Mühe, nicht einzuknicken. Eine große Traurigkeit überwältigte mich und ich musste weinen. Es gab so viele Opfer in diesem Krieg. Es gab so viele Leidtragende. Und es wurden auch viele Opfer gebracht. Diese Opfer wollten endlich angenommen werden. Die Schwere zog mich nach vorne und nach unten. Ich musste meine ganze Kraft zusammennehmen, um nicht nach vorne zu kippen.
Ich fragte mich, was denn gegen diese Schwere helfen würde, die wie ein Mühlstein um meinen Hals hing? Ein Schmetterling flog vorbei, Safira pfurzte. Ich lächelte und dachte:
„Ich darf das loslassen, was nicht zu mir gehört!“ Doch sofort wurde ich wieder ernst:
„Darf ich das?“
Meine Beine fühlten sich nun wieder stabil an und ich hatte den Impuls, zu gehen. In Zickzacklinien bewegte ich mich auf Windschwester zu. Es fühlte sich wie ein langsamer, zögernd begonnener Tanz an. Ich spürte die Sonne auf meiner Haut, hörte das Rauschen des Flusses und das Singen der Vögel und dachte:
„Darf ich das? Tanzen ist doch ein Ausdruck von Lebensfreude. Darf ich tanzen mit dem Wissen um all die Opfer?“ Vor Windschwester blieb ich schließlich stehen, sie ‚sagte‘:
„Das Gras ist lecker. Es riecht frisch und schmeckt gut. Was spricht dagegen, zu grasen? Gras ist Nahrung und Nahrung bedeutet Leben! Nimm das Leben und genieße es – sonst wären all die Opfer umsonst gewesen!“